80.000 Euro für ein Werk zweier sizilischer Stempelschneider

80.500 Euro – das war genau der Preis, der am 10. Oktober auf der Auktion Gorny & Mosch, Giessener Münzhandlung 199 für ein außergewöhnliches Tetradrachmon aus der sizilischen Metropole Syrakus bezahlt wurde. Zugegeben: Keine neue Rekordsumme, doch ein stolzer Preis, der auf derselben Auktion sogar ein Dekadrachmon des Euainetos, des wohl berühmtesten Stempelschneiders der Antike, übertrumpfte. Die Münze stammt aus einer der schönsten Münzauktionen, Auktion 25 der Bank Leu AG Zürich aus dem Jahr 1980. Schon damals erzielte sie, nach heutigem Wechselkurs umgerechnet, ca. 44.500 Euro und schon damals ließ sie ein Dekadrachmon des Euainetos hinter sich.

Syrakus (Sizilien). Tetradrachme, ca. 415-409 v.Chr. Nach rechts galoppierende Quadriga, deren geflügelter Lenker von Nike bekränzt wird. Im Abschnitt Skylla und die Signatur EUTH. Rs.: Kopf der Arethusa umgeben von vier Delfinen. Darunter die Künstlersignatur PHRYGILL/OS. Tudeer 47; Franke-Hirmer 37. Vorzüglich. Endpreis 80.500 Euro.

Was also macht das Besondere der Münze aus? Betrachten wir zunächst die Vorderseite mit der Quadriga, die von einem Wagenlenker geführt wird, auf den eine Nike zufliegt, um ihn zu bekränzen. Damals, als unsere Münze entstand, hatte das Münzbild gerade erst eine grundlegende Veränderung erfahren, denn traditionell liefen die Pferde im Schritt und Nike bekränzte die Pferde. Dieser Wandel vollzog sich in den Jahren um 415 v. Chr. und markiert den Beginn der Blütezeit der syrakusanischen Stempelschneidekunst. Möglicherweise geschah dies vor dem Hintergrund aktueller politischer Ereignisse: 413 v. Chr. siegten die Syrakusaner über die Athener Flotte und beendeten damit die sogenannte sizilische Expedition, mit der sich Athen während des Peloponnesischen Krieges einen Vorteil gegenüber seinem „Erbfeind“ Sparta verschaffen wollte.
Das neue Selbstbewußtsein, das die Stadt nach dem Sieg erfaßt hatte, zeigt sich deutlich im Münzbild: Die ruhige Gangart weicht dem Vorpreschen, das mit einem Sieg belohnt wird. Natürlich verdankte man den Sieg nach antiker Vorstellung den Göttern. Das mag einige Stempelschneider dazu bewogen haben, den Wagenlenker durch eine mythologische Figur zu ersetzen, um nicht den Zorn der Götter auf sich zu lenken, denn Überheblichkeit, Hybris, wurde streng bestraft, wie zahlreiche Mythen erzählen. So erscheint nun beispielsweise Kore-Persephone, erkennbar an ihrer Fackel, als Wagenlenkerin oder – wie auf unserer Münze – Eros, offenbar die ureigenste Kreation des Schöpfers der Vorderseite unserer Münze, von dem die Signatur im Abschnitt nur die Anfangbuchstaben Euth… verrät.

Überhaupt scheinen damals der Kreativität der Stempelschneider, zumindest in den Details, keine Grenzen gesetzt worden zu sein, denn auch für das Bild im Münzabschnitt schuf Euth… eine völlig neue Darstellung. Weder das Meerungeheuer Ketos noch die Delfine noch die Ähre als Attribut der Kore-Persephone erscheint hier, sondern vielmehr Skylla, eines der beiden furchterregenden Wesen, von denen die Meerenge zwischen Sizilien und dem italienischen Festland bewacht wurde und die schon Odysseus schwer zu schaffen machten.
Doch unsere Skylla wirkt nicht gerade furchterregend, sondern greift beinahe spielerisch nach einem Fisch, der gerade noch versucht zu flüchten. Man ist geneigt, hierin eine Anspielung auf den eben erfolgten Seesieg zu erkennen, um so mehr, wenn Nike tatsächlich in ihrer Linken anstelle des üblichen Palmzweiges ein Aphlaston, die Heckzier eines Schiffes, halten sollte – was allerdings durch einen Stempelfehler, der wohl bei allen Münzen dieses Typs auftritt, nicht eindeutig bewiesen werden kann.

Auch heute ist die Quelle Arethusa in Syrakus noch zu bewundern. Foto: Gunpowder Ma / Wikipedia.

Das Rückseitenbild unserer Münze entstand unter den Händen des Stempelschneiders Phrygillos, dessen Signatur deutlich unter dem Halsabschnitt zu lesen ist. Phrygillos ist kein Unbekannter, wird er doch bereits mit Prägungen der Städte Thurioi und Terina in Unteritalien in Verbindung gebracht und hat sich wohl auch als Gemmenschneider betätigt. Ein erfahrener Künstler also, der das übliche Bildnis der Quellnymphe Arethusa mit einem Kranz aus Mohn und Ähren als Kore-Persephone umdeutete und gleichzeitig einen der schönsten Köpfe im Stil der späten Hochklassik schuf, in seiner weichen und zugleich etwas herben Modellierung den Koren vom Erechtheion auf der Athener Akropolis zu vergleichen.
Unsere Münze steht damit künstlerisch auf der Höhe ihrer Zeit und darf außerdem als wichtiges Zeitzeugnis betrachtet werden: Sie markiert den Beginn einer neuen kulturellen Blütezeit der Stadt Syrakus, die sich dann, unter der Herrschaft des Tyrannen Dionysios, weit bis ins 4. Jahrhundert v. Chr. fortsetzen sollte.

Einen ausführlichen Nachbericht der Auktion 199 von Gorny & Mosch lesen Sie hier.