Das Zürcher Probierbuch

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von Ursula Kampmann

24. Mai 2018 – Münzmeister zu sein, beinhaltete viele und unterschiedliche Aufgaben. Oft gehörte dazu das Amt des Wardein. In dieser Funktion prüfte er Münzen, die auf dem Markt kursierten, hinsichtlich ihres korrekten Gewichts und ihres Feingehalts. Schließlich brauchte es eine relativ aufwändige Infrastruktur, um einen – sagen wir – Taler einzuschmelzen und so das anteilige Silber herauszufinden. Hatte der Wardein Gewicht und Edelmetallgehalt ermittelt, meldete er seine Ergebnisse dem Stadtrat. Vielleicht zur eigenen Sicherheit führte er darüber Buch. So ein „Probierbuch“ haben Ruedi Kunzmann und Karl Weisenstein publiziert.
Die neue Publikation gibt damit einen authentischen Einblick in den Alltag eines Münzmeisters aus der wohl bekanntesten Münzmeisterfamilie der Schweiz. Es war die Familie Stampfer, der dieses Probierbuch gehörte. Hans Jakob Stampfer ist heute vor allem wegen seiner prachtvollen Prägungen bekannt, die er mit einer Art Walzprägewerk herstellte. Nun wird man, wenn sein Name genannt wird, auch an das Zürcher Probierbuch denken, das er begonnen und seine Nachkommen fortgeführt hatten.

Ruedi Kunzmann, Karl Weisenstein, Das Zürcher Probierbuch. Das Zürcher Probierbuch der Familie Stampfer dokumentiert Münzproben der Stadt von 1549 bis 1680. Battenberg Gietl Verlag, Regenstauf 2018. 484 S., durchgehend Abbildungen in Schwarz-Weiß. 21,5 x 30,3 cm. Hardcover. ISBN: 978-3-86646-164-2. 85 Euro.

Einer der häufigsten Mängel numismatischer Publikationen ist das Auseinanderklaffen von archivalischem und numismatischem Wissen. Diesen Mangel weist die neue, umfangreiche Publikation nicht auf. Hier ist ein entscheidendes historisches Dokument auf geballtes numismatisches Wissen getroffen. Der Text ist nach den Regeln der Kunst transkribiert und die Transkription mit numismatischer Botschaft gefüllt.

Praktisch sieht das folgendermaßen aus: Jede Seite des Probierbuchs ist nacheinander abgebildet und dazu ihre Transkription gegeben. Diese Transkription ist in die kurzen Abschnitte getrennt, die sich jeweils mit einem Münztyp beschäftigen. Diese Abschnitte sind unter dem Datum gelistet, geben Herkunft und Prägejahr des untersuchten Nominals inklusive eines Literaturzitats an und nennen den ermittelten Feingehalt. In einer Anmerkung wird die Identifikation der Münze erklärt. Falls eindeutig möglich, wird die Münze sogar noch dazu abgebildet.

Damit liefern uns Ruedi Kunzmann und Karl Weisenstein einen einmaligen Einblick, mit welchen Münzen sich die Zürcher Händler in den Jahren 1549 bis 1680 konfrontiert sahen. Für den Numismatiker ist dieses Buch wichtig, da es bis jetzt unerkannte Münzen enthält, die dort zwar als Abrieb erhalten sind, die wir aber wegen einer Lücke der Überlieferung noch nicht kennen. Der Sammler wird es lieben, weil es seine Münzen in einem ganz neuen Aspekt zeigt, nicht als Sammelobjekte, sondern als Geld, dessen reibungslose Funktionsweise eben nur dann gegeben war, wenn Schrot und Korn stimmten. Für Archivare bieten sich eine Fülle an numismatischen Termine, die noch dazu als eine Art Bilderbuch illustriert sind. Jetzt hat er endlich direkt vor Augen, was ein Stadtschreiber meinte, wenn er von einer bäbistischen dublone oder einem bisanzer daller schrieb, nämlich eine Doppia des Kirchenstaates resp. einen Taler der Stadt Besançon.

Für Wirtschaftshistoriker erläutert dieser Text den Vorgang der Verrufung, der ein Anhang im Buch gewidmet ist. Denn natürlich waren die Untersuchungen der Stampfer nicht l’art pour l’art, sondern wurden aus einem bestimmten Zweck durchgeführt: Sie bildeten die Grundlage für die währungspolitischen Maßnahmen des Zürcher Rats, der bestimmte Münzen auf seinem Markt „verrief“, also deren Benutzung verbot. Die Autoren haben aus dem ebenfalls erhaltenen Verbot-Buch die Texte herausgesucht, die eindeutig mit einer im Probebuch erwähnten Probe verbunden sind.

Zwei Buchvorstellungen an einem Abend: Von l. nach r.: Ruedi Kunzmann, Karl Weisenstein und Jürg Richter. Foto: UK.

Wer sich auch nur ein bisschen für die Funktion und Benutzung von Münzen interessiert, wird von der Publikation begeistert sein. Sie überschreitet Grenzen und liefert für die gesamte Numismatik eine Fülle von Informationen, deren Bedeutung noch gar nicht zu ermessen ist. Die Zürcher Geldgeschichte hätte schon längst neu geschrieben werden müssen. Gut dass das bis jetzt noch nicht geschehen ist, denn durch dieses Buch ändert sich der Blick auf das gesamte Zürcher Geldwesen.
Und wer bisher einen Hortfund auswertete, suchte bislang nur nach anderen Funden, in denen er auftauchte. Nun muss jeder dieses Buch mit in seine Kalkulation einbeziehen – und evt. darüber nachdenken, dass auch in anderen Archiven solche Probierbücher oder vergleichbare Texte auf eine Publikation warten.
Es wäre schön, wenn die Publikation eine Art Initialzündung wäre, mehr in den Archiven zu stöbern, um herauszufinden, was sie uns zu Münzumlauf und Münzalltag zu erzählen haben. Denn dass da ein gewaltiger wissenschaftlicher Schatz schlummert, der irgendwann für die Numismatik gehoben werden muss, wissen alle, die schon einmal in einem Archiv gearbeitet haben.

Bestellen können Sie dieses Buch im Gietl-Verlag.

Interessenten in der Schweiz finden das Buch auch im Shop von Numis-Post.