„Numismatik in der EG – Münzenhandel ohne Grenzen“

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13. September 2012 – Manche Probleme bleiben einfach aktuell. 1994 hielt Dr. Hubert Lanz anlässlich der Münzenmesse in Basel einen Vortrag, dessen Inhalt nichts von seiner Bedeutung verloren hat. Mit der Befürchtung, dass sich dies auch die nächsten 10 Jahre nicht ändern wird, publizieren wir diesen Beitrag.

Numismatik in der EG: Münzenhandel ohne Grenzen

von Hubert Lanz

Seit 01.01.1993 gibt es theoretisch in der EG keine Grenzen mehr, in der Praxis hat dies zu einem Europa der Missverständnisse geführt.
Aus dieser Sicht gibt es weder einen gemeinsamen Markt noch ein Europa ohne Grenzen, denn diese wurden nur in unsere eigenen vier Wände verlegt. Nationale Egoismen und kultureller Chauvinismus wurden nicht beseitigt, sondern werden jetzt wieder belebt, wo sie verschwunden waren, und verstärkt, wo sie ohnehin immer bestanden haben. Liberales Denken und Handeln ist nicht im Vormarsch, sondern leider auf dem Rückzug.

Einheitliche Besteuerung für Münzen in der EG
Uns Münzensammler und Händler interessieren im Wesentlichen zwei Dinge: Erstens, die Besteuerung und zweitens Fragen des Kulturschutzes, denn Münzen und Münzsammlungen können unter bestimmten Voraussetzungen als Kulturgut betrachtet werden. Zum Punkt 1 kann ich Ihnen sagen, dass die steuerliche Vereinheitlichung bis heute nicht erfolgt ist, obwohl es zunächst so aussah, als wäre dieses Thema bereits ausreichend diskutiert und beschlussfähig.

Anfang 1992 verabschiedete die EG eine Liste jener Waren, welche einem ermäßigten Steuersatz unterliegen dürfen. Zu unserem Leidwesen wurden Münzen und numismatische Sammlungsstücke nicht in diese Liste aufgenommen. Obwohl wir, ich spreche hier vom Verband der deutschen Münzhändler, uns dafür eingesetzt hatten, da wir mit dem ermäßigten Steuersatz, derzeit 7%, bisher gute Erfahrungen hatten.

Genauso wenig wie die Steuerexperten der EG konnten sich die Mitgliederverbände der FENAP, der 1991 gegründeten Föderation der europäischen Münzen-Händlerverbände, auf eine einheitliche Linie verständigen. Die Gegensätze und Erfahrungen mit den Steuersystemen waren zu unterschiedlich, weshalb auch die EG-Bürokratie bisher scheitern musste. Ursprünglich hatte die EG beschlossen, keine Doppelbesteuerung auf Waren zuzulassen, sodass für Gebrauchtgüter, und dazu gehören unsere Münzen und Medaillen, eigentlich nur der Null-Steuersatz richtig wäre.

Neidvoll müssen wir auf Norwegen blicken und auf deren EG-Mitgliedschaft und Verhandlungsgeschick hoffen, wo es diesen Null-Steuersatz für Münzen gibt; allerdings auch dort nicht für Medaillen, die bei uns zu den numismatischen Sammlungsstücken gehören.
Bei Steuersätzen von 6 bis über 30% war dieser Null-Satz aber nur ein frommer Wunsch, weshalb die EG-Strategen die Einführung der Margenbesteuerung, in England heißt das „Special Scheme“, zum vollen Steuersatz ins Auge fassten. Zunächst erscheint diese Steuer sehr verlockend, da nur die Differenz zwischen An- und Verkauf mit der EG-Bandbreite von 15 bis 20% versteuert wird. Dem Kunden wird vom Handel ohnehin erzählt, dass er nichts verdient, also sind ja volle Sätze von nichts weniger als nichts und das ist schon ein großer Vorteil.

Der kleine Nachteil zeigt sich im Detail. Jede einzelne Münze sollte in ein Warenverkaufsbuch eingetragen werden, mit Preis, Name und Adresse des Verkäufers. Beim Kauf die gleiche Prozedur im umgekehrter Richtung. Völlig unverständlich war auch für mich, warum soviel Bürokratie für nichts oder weniger als nichts nötig sein soll.
Nicht nur in der Bundesrepublik, wo es einen relativ gesunden und weitgehend steuerehrlichen Münzhandel gibt, regte sich gegen diesen Bürokratismus Widerstand. Denn bei uns ist auch die Verfolgungsdichte sehr hoch und damit kommen Aufzeichnungsmängel im Falle der Überprüfung sehr teuer.

Dieser Widerstand führte dazu, dass man über Erleichterungen nachdachte, denn es war klar, dass ein Ein- oder Zweimann-Betrieb ohne Computer derartige steuerliche Bestimmungen einfach nicht bewältigen wird können. Der Verband der deutschen Münzhändler hat deshalb in seiner letzten Jahresversammlung beschlossen, die Bundesregierung aufzufordern, der Margenbesteuerung nur dann zuzustimmen, wenn der ermäßigte Steuersatz beibehalten wird und die Berechnung der Marge nach einem vereinfachten Pauschalsystem vorgenommen werden kann.

In meinem Schreiben an das Bundesfinanzministerium habe ich auch erklärt, dass durch die Margenbesteuerung Großkonzerne, wie Sotheby’s und Christie’s gegenüber den kleinen, numismatisch orientierten Händlern bevorzugt werden, da diese internationalen Konzerne aufgrund billiger Finanzierungskosten mit weit geringeren Margen arbeiten können, als der kleine Numismatiker mit akribisch bearbeitetem Material.

Ich bin nach wie vor überzeugt, dass der ermäßigte Steuersatz, bei Steuerfreiheit im Export in Drittländer die einfachste Lösung wäre.

Obwohl es zunächst so aussah, als wäre diese Forderung Utopie, scheint in letzter Zeit doch ein Umdenken eingesetzt zu haben, denn auch andere Länder denken über ermäßigte Steuersätze für Kulturgüter nach, und nach letzter Information hat sich die Bundesrepublik in der EG durchgesetzt und darf weiterhin statt der Margenbesteuerung einen ermäßigten Satz für Münzen und Medaillen beibehalten; was dann für sämtliche gebrauchten Kulturgüter gelten könnte.
Und hiermit komme ich zum zweiten Problemkreis, der uns betrifft und welcher aus zwei Teilen besteht.

VO bzw. Verordnung und Ri bzw. Richtlinie
Durch das Wegfallen der Grenzkontrollen forderten die Länder, welche restriktive Kulturgüterschutzgesetze haben, Regelungen, die das Abwandern ihres nationalen Kulturgutes ins Ausland verhindern sollen. Da die EG-Gesetzgebung in Drittländern nicht greift, sollte dem Export in dieses „feindliche“ Ausland ein Riegel vorgeschoben werden und da der Feind auch im Inneren steckt, sollten innerhalb der EG die Kulturgüter wieder dorthin zurückgeführt werden, wo sie einmal waren. Leider hat sich dieses national-chauvinistische Gedankengut durchsetzen können und zur VO 3911/92 und Ri Nr. 93/7 geführt.
Nun, was ist eine VO oder Verordnung und eine Ri oder Richtlinie?

Eine VO ist unmittelbar ein Gesetz in allen Mitgliedsländern der EG und kann nur in geringfügigen Details unterschiedlich ausgelegt werden. Eine Ri muss erst in nationale Gesetze umgesetzt werden, wofür in der Regel ein Jahr Zeit ist. Im Endergebnis sind beide gleich, das heißt, nationale liberale Gesetze müssen den restriktiven EG-Normen angepasst werden. Die Praxis hat aber gezeigt, dass auf nationaler Ebene die Gesetzgebung doch noch auf den Pfad der liberalen Tugend geleitet werden kann.

Aus innenpolitischen Gründen hat die Bundesrepublik Deutschland sich bei den EG-Abstimmungen der Stimme enthalten, weshalb sowohl VO als auch Ri die EG- Abstimmungshürde geschafft haben. Auch ein Schreiben unsererseits an alle EG-Abgeordneten in Straßburg konnte leider nichts mehr aufhalten.
Allein Bayern will – soweit mir bekannt ist – beim europäischen Gerichtshof wegen Verletzung des Subsidiaritätsprinzips und Über-Regulierung gegen die VO und die Ri klagen  und erhält dazu unsere volle Unterstützung.
Beiden Gesetzen ist der für uns völlig falsche politische Grundsatz zu eigen, nämlich alles zu verbieten und dann einige Ausnahmen zuzulassen.

Die Problematik bei der VO bzw. Verordnung
Die Verordnung sagt, dass alle Ausfuhren von Kulturgütern in Drittländer genehmigungspflichtig sind. Kulturgüter im Sinne dieser Verordnung wurden in Kategorien eingeteilt, welche von archäologischen Objekten über Handschriften bis zu Kraftfahrzeugen reichen. Archäologie beginnt bereits 1893, schützenswerte Handschriften 1943 und Kraftfahrzeuge vor 1918 sind ausfuhrgenehmigungspflichtig.

Um die Sache noch verwirrender zu machen, wurde beschlossen, dass Kulturgüter, welche in eine der 14 Kategorien fallen, erst bei Überschreitung eines bestimmten Wertes von 0, 15.000, 50.000, oder 150.000 ECU eine Ausfuhrgenehmigung benötigen.

Unter Wertgruppe 0 (Null) fallen die Kategorien:
1 – archäologische Gegenstände
2 – Aufteilung von Denkmälern
8 – Wiegendrucke und Handschriften
11 – Archive

unter die Wertgruppe 15.000 ECU die Kategorien
4 – Mosaike und Zeichnungen
5 – Radierungen
7 – Photographien
10 – gedruckte Landkarten

unter die Wertgruppe 50.000 ECU die Kategorien
6 – Bildhauerkunst
9 – Bücher
12 – Sammlungen
13 – Verkehrsmittel
14 – sonstige Gegenstände

unter die Wertgruppe 150.000 ECU, also ca. DM 300.000, fällt nur die Kategorie
3 – Bilder

Im Klartext heißt dies, dass wir die totale Kontrolle haben, denn für alles was weniger wert ist und nach Kulturgut aussieht, muss sicherheitshalber ein Negativ-Attest mitgeführt werden, wenn man die Grenze in ein Drittland, etwa Schweiz oder Österreich, überschreitet.
Dank der Initiative eines von uns alarmierten englischen Kollegen, der jeweils eine wertlose, römische Münze allen britischen Abgeordneten geschickt hatte, wurden aus der uns betreffenden Kategorie 12, im Urtext „Sammlungen und Einzelexemplare von numismatischem Wert“, die Einzelstücke aus beiden EG-Entwürfen herausgenommen und die Wertgrenze von numismatischem Wert von ursprünglich 0 auf 50.000 ECU angehoben.
Auch wenn dies ein großartiger Erfolg unserer kleinen Lobby war, so ist zunächst auch dieses Ergebnis aus liberaler deutscher Sicht unbefriedigend, denn wir hatten ja die fast totale Freiheit. Diese zu verteidigen, bzw. wieder zu erlangen bin ich, unterstützt von meinem Verband, angetreten. Spät, doch vielleicht zu spät, ist es uns gelungen, zu den Arbeitssitzungen zu diesen Themen ins deutsche Innenministerium eingeladen zu werden, wo ich bisher Schlimmstes verhindern konnte.

Für Juristen ist nämlich Numismatik gleich Münze, und so gab es deutsche Textentwürfe, in denen von Münzsammlungen, statt von Sammlungen von numismatischem Wert gesprochen wurde. Hier kam mir der alte Goethe zu Hilfe, dessen Sammlung auch aus deutscher Sicht als schützenswert eingestuft worden wäre. Nachdem ich den Juristen erklärt hatte, dass Goethe Sammler von Renaissance-Medaillen war und daher dessen Sammlung unter dem Begriff „Münzsammlung“ ungeschützt wäre, gelang es mir, zumindest die deutsche Seite darauf zu verständigen, dass nur Sammlungen, die einen wesentlichen Entwicklungsschritt oder Forschungsstand der numismatischen Wissenschaft dokumentieren, als schützenswertes Kulturgut im Sinne der VO und der Ri angesehen werden, wobei ich hoffe und erwarte, dass deutsche Gerichte im Streitfall diese hohe Latte nicht umstoßen werden.

Die Problematik bei der Ri bzw. Richtlinie
Und hier komme ich zur Richtlinie, denn diese besagt, dass einmal illegal verbrachtes nationales Kulturgut aus einem EG-Mitgliedsstaat in einen anderen, in diesen zurückgebracht werden muss, wobei zu diesem Zweck eigens Überwachungs- und Verfolgungsbehörden eingerichtet werden müssen. Auch wenn dies nun den deutschen Durchschnittssammler nicht zu betreffen scheint, liegt die Problematik im freien Grenzverkehr für Personen und Waren, denn die nationalen Gesetze der einzelnen EG-Staaten bleiben voll in Kraft.

Ausgelöst durch diese Richtlinie, hat sich auch bei uns national-chauvinistisches Gedankengut eingeschlichen und gipfelte in der Feststellung eines Juristen aus dem Justizministerium: Wenn die Griechen einen so strengen Kulturgüterschutz haben und wir Deutsche unser Kulturgut nicht entsprechend schützen, besteht die Gefahr einer Einbahnstraße der Abwanderung deutschen Kulturgutes nach Griechenland.

Ist eine Lösung überhaupt in Sicht?
Wie unausgegoren und unpraktikabel die Verordnung und die Richtlinie sind und welche Gefahren in ihnen stecken, zeigten die Diskussionen im Innenministerium. So konnte ein anwesender Vertreter des deutschen Zolls keine Garantie abgeben, dass ein deutsche Sammler mit seiner griechischen Münze, welche aus einer alten deutschen Sammlung stammt, unbehindert aus oder über Athen z. B. nach Ankara reisen kann, denn diese ist unverjährbar griechisches nationales Kulturgut, auch wenn sie etwa in Makedonien geprägt worden ist. Ungeklärt blieb auch die Definition von Archiven und Handschriften, welche schon bei einem Alter von 50 Jahren ab Wertgrenze 0 ECU einer Ausfuhrgenehmigung bedürfen, denn hier hat die entsprechende Lobby geschlafen oder hat einfach nicht existiert. Für uns Münzsammler und Händler ist dies insofern wichtig, als auch Archive wie handgeschriebene Sammlungskarteien darunter fallen können.

Ein 70-jähriger Sammler, der seit seiner Kindheit Eintragungen in sein altes Notizbuch aus der Vorkriegszeit macht, könnte bei einem sturen Zöllner genauso Probleme bekommen wie ich mit meiner Geburtsurkunde, welche die unleserliche Unterschrift eines vielleicht berühmten Mannes trägt, oder vielleicht werde ich einmal selbst berühmt und damit meine eigenen Dokumente nationales Kulturgut, denn auch Autographen zählen zu den Handschriften.
Meine ganze Hoffnung liegt auf Bayern, wegen der vorhin erwähnten Klage beim europäischen Gerichtshof, denn niemand kann abschätzen, welche praktischen Auswirkungen diese beiden Gesetze noch haben werden.
Bis dahin arbeite ich an praktikablen Zwischenlösungen mit, wobei in Deutschland die Mitglieder unseres Verbandes die Erlaubnis erhalten sollen, auf einem dreiseitigen Dokument eidesstattlich zu erklären, dass die darauf beschriebene oder abgebildete Sammlung nicht eine Sammlung im Sinne der VO oder Ri ist.

Außerdem ist es mir gelungen, dass auch archäologische Objekte, deren wissenschaftlicher Wert gering ist, auch wenn der materielle Wert zwangsläufig höher als Null ist, zumindest aus Deutschland mit dieser Erklärung weiterhin frei ausgeführt werden dürfen. Einen geringen wissenschaftlichen Wert hat etwa eine Öllampe oder Fibel, die in genügend großer Anzahl in europäischen Museen vorhanden ist.
Keinen Einschränkungen unterliegt übrigens die Ausfuhr von archäologischen Objekten, die nachweislich aus einem Drittland, etwa Abchasien, eingeführt worden sind.

Und hier kommen wir zum vielleicht brisantesten Thema der Zukunft, und das ist das Fundrecht, welches noch nicht EG-einheitlich geregelt ist, aber sicher der Reglementierungswut der EG-Bürokratie anheim fallen wird.

Bitte beachten Sie, dass nationale Gesetze weiterhin in Kraft bleiben und dass es in der Bundesrepublik unterschiedliche Landesgesetze mit und ohne Schatzregal gibt.

Gerade jetzt ist es wichtig, dass in den Ländern, die kein Schatzregal kennen, also liberal sind, die Bodenfunde ordnungsgemäß gemeldet werden. Denn, nur wenn sich Finder, Sammler und Händler an diese liberalen Gesetze halten, bleibt eine Chance, diese ins nächste Jahrtausend hinüber zu retten.