Helios, der Koloss von Rhodos – und die rhodischen Tetradrachmen

Rhodos lag im Herzen des Mittelmeeres. Wann immer die Händler vom griechischen Mutterland Getreide in Ägypten kaufen wollten, mussten sie Rhodos passieren. Wenn das Kupfer aus Zypern verschifft wurde, war Rhodos eine feste Station auf dem Weg. Schiffe aus der ganzen Mittelmeerwelt ankerten im Hafen von Rhodos, der erst 408 v. Chr. durch einen Synoikismos entstanden war. Gegen Ende des Peloponnesischen Krieges hatten sich die kleineren Städte der Insel entschlossen, gemeinsam eine neue, große Hauptstadt zu bauen. Wenn wir von dem antiken Rhodos sprechen, meinen wir sie, die neue, für rund 100.000 Bewohner nach dem archidamischen System angelegte Hafenstadt.

Rhodos. Tetradrachme, 404-385. Kopf des Helios von vorne, den Blick leicht nach rechts gewandt. Rv. Rose mit glockenförmiger Knospe rechts, im Feld links Ähre. Bérend 51 (dieses Exemplar). Aus Sammlung Bérend. Aus Auktion Hess-Divo 334 (29. Mai 2018), Nr. 74. Vorzüglich. Taxe: 25.000 CHF.

Hoch über dem Hafen errichteten die Rhodier ihrem Schutzgott Helios einen großen Tempel. Und natürlich ehrten die Rhodier ihren Schutzherrn auch im Münzbild. Schon die ersten Tetradrachmen der jungen Stadt, die nach 404 ausgegeben wurden, zeigen sein Bild auf der Vorderseite. Hess-Divo wird am 29. Mai 2018 in seiner Auktion 334 gleich zwei Beispiele für diesen Münztyp von schönstem spätklassischem Stil anbieten.

Quadriga des Sol. Szechenyi Bad / Budapest. Foto: Pierre Bona / cc-by 3.0.

Auch wenn jeder, der die sonnenverwöhnte Insel des Mittelmeeres besucht, Helios für eine selbstverständliche Wahl hält, ist er als wichtigste Stadtgottheit relativ ungewöhnlich. Helios war keiner der Olympischen Götter, sondern ein Titan, Sohn des Hyperion und der Theia. Zusammen mit seinen Schwestern Selene (Mond) und Eos (Morgenröte) beherrschte er den Himmel. Er fuhr des Tags den Sonnenwagen über den Okeanos und kehrte in der Nacht durch das Weltmeer nach Osten zurück, um am nächsten Tag erneut den Menschen das Licht zu bringen.
Während die olympischen Götter in den uns bekannten, klassischen Sagen häufig mit den Menschen interagieren, gibt es nur wenige Erzählungen, in denen Helios zumindest eine kleine Rolle spielt. Wir kennen ihn als den Allsehenden, der Hephaistos verrät, dass seine Gattin Aphrodite ihn mit Ares betrogen hat. Wir kennen ihn als den Eigentümer der roten Rinder, deren Verzehr Odysseus und seinen Gefährten so großen Kummer bereiten wird. Und wir kennen ihn als Vater des Phaeton, dem er für dessen tödliche Fahrt seinen Sonnenwagen leiht. Aber das ist es auch schon.
Denn in klassischer Zeit verdrängte Phoibos Apollon den Helios fast vollständig als Sonnengott. Und zwar in solchem Maße, dass er zu einem philosophischen Ideal werden konnte: Platon tituliert ihn in seiner Republik als symbolisches Kind der Idee vom Guten.

Kupferstich des Koloss von Rhodos um 1580.

Wahrscheinlich greifen wir mit dem lebendigen Kult des Helios auf Rhodos einen Überrest der dorischen Besiedlung der Insel. Um 1000 v. Chr. nämlich wanderten die Dorer in Rhodos ein. Und in ihren Siedlungen – wir wissen das auch von Beispielen aus Korinth, Sikyon, Argos, Sparta und Epidaurus – spielte der Kult des Helios durchaus eine Rolle; eine Rolle, der die stark von Athen geprägte Überlieferung nicht gerecht werden dürfte.

Rhodos war auf jeden Fall seine wichtigste Kultstätte. Hier wurde Helios mit zahlreichen spezifischen Riten verehrt. Wir wissen von einer Quadriga, die als Opfer an ihn über einen schroffen Abhang hinaus ins Meer getrieben wurde. Ein jährliches Fest mit berühmten Wettkämpfen wurde zu Ehren des Helios veranstaltet. Der oberste Priester des Sonnengottes war gleichzeitig der eponyme Beamte, also der Beamte, nach dem ein Jahr benannt wurde.

Kupferstich des Koloss von Rhodos von 1721 – mit Münzabbildungen.

Man erzählte sich auf Rhodos, dass Helios zu dieser Insel ein ganz persönliches Verhältnis hatte. Pindar überliefert, dass die olympischen Götter die Erde unter sich aufgeteilt hätten. Helios sei dabei abwesend gewesen – schließlich musste er den Sonnenwagen über den Himmel steuern – und hätte deshalb nichts erhalten. Als der Sonnengott sich darüber bei Zeus beklagte, sprach der ihm die Insel Rhodos zu, die sich noch nicht aus dem Okeanos erhoben hatte.
Mit Rhodos verbunden war auch eine weibliche Gottheit Rhodos oder Rhode, die als Gattin des Helios galt. Von ihr hatte er sieben Söhne, die später als mythische erste Herrscher der Insel Rhodos gelten sollten.

Rhodos. Tetradrachme, 404-385. Kopf des Helios von vorne, den Blick leicht nach rechts gewandt. Rv. Rose mit Knospe rechts, im Feld links Fackel. Bérend 71 (dieses Exemplar). Aus Leu 83 (2002), Nr. 331. Aus Auktion Hess-Divo 334 (29. Mai 2018), Nr. 75. Vorzüglich. Taxe: 7.500 CHF.

Nun bedeutet Rhodos eigentlich nichts anderes als Rose. Die Rückseitendarstellung unserer Tetradrachmen aber weist weit über die Blume hinaus. Was wir gerne als „sprechendes Wappen“ abqualifizieren, hatte für die Bewohner von Rhodos ganz andere Aspekte: Die Rose stellt die Verbindung dar zwischen der Insel und dem Gott. Sie bezieht sich auf die Gattin des Helios und den ewigen Bund, den die Nachkommen des Helios und der Rhodos mit ihrem göttlichen Schutzherrn geschlossen hatten.

Während viele andere antike Stätten im Mittelalter zur Bedeutungslosigkeit abstiegen, blieb Rhodos wegen seiner strategischen Lage ein wichtiger Hafen und eine Station auf der Fahrt ins Heilige Land. Holzschnitt von 1487.

Dieser Bund lebte in den Augen der Bewohner von Rhodos, denn er hatte sich in der Geschichte immer wieder als wirksam erwiesen: Während, um nur ein Beispiel zu nennen, die Athener nach dem Sieg des Demetrios Poliorketes diesen auf der Akropolis wohnen ließen und ihn als neuen Gott feierten, scheiterte der Städtezertrümmerer 305 vor den Mauern von Rhodos. Die Rhodier konnten sich das nur so erklären, dass ihr Gott Helios sich als mächtiger erwiesen hatte als Demetrios. Zum Zeichen seiner Macht und als Dank errichteten sie ihm die berühmte Kolossalstatue, die bis zum heutigen Tage als eines der sieben antiken Weltwunder gepriesen wird.

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