Ein numismatischer Blick in die englische Wirtschaftsgeschichte

[bsa_pro_ad_space id=4]

von Ursula Kampmann

16. Mai 2013 – Für den europäischen Bürger ist es heute selbstverständlich, dass der Staat ihn mit ausreichend Kleingeld versorgt. Es mag in exotischen Destinationen wie Indien Kleingeldmangel geben – wir berichteten immer wieder ausführlich darüber – aber hier können wir uns kaum vorstellen, wie es ist, vom Bäcker kein Wechselgeld zu erhalten.

David W. Dykes, Coinage and Currency in Eighteenth-Century Britain. The Provincial Coinage. Spink, London, 2011. 383 S. durchgehend farbig bebildert. Leinen, Fadenbindung. 22 x 28,5 cm. ISBN 978-1-907427-16-9. 65 Pfund.

Dass dies eigentlich eine sehr neue, sehr moderne Einstellung ist, realisieren wir sofort, wenn wir uns mit englischen Tokens beschäftigen. Ende des 18. Jahrhunderts sah sich die Royal Mint nicht in der Lage, den Bedarf an Scheidemünzen des sich industrialisierenden Landes zu decken. Die boomende Industrie, die ihre Löhne täglich oder wöchentlich zahlte, und der Kleinhandel mit seinem Bedürfnis nach Wechselgeld trafen zusammen mit dem entstehenden Bedürfnis nach Werbung und einer aktiven Sammlerschaft, die diese zeitgenössischen Prägungen begeistert kaufte und in ihren Kabinetten hortete. Tonnen von privaten Tokens wurden in den 10 Jahren zwischen 1787 und 1797 produziert, und das nicht nur für den tatsächlichen Gebrauch. Nicht umsonst gibt es so viele ausgesprochen gut erhaltene Exemplare dieser Gattung. Es entstanden Sammlereditionen und Token zur Verbreitung politischer Propaganda. Viele Hersteller witterten ein gutes Geschäft.

Was das Sammeln von Tokens zu einer so lohnenden Angelegenheit macht, sind die unglaublich detaillierten Sujets, die man darauf findet. Sie zeigen Objekte, wie sie es sonst kaum auf offizielle Darstellungen geschafft haben. Das Inventar eines Porzellanladens zum Beispiel oder die Maschine, mit der ein Kerzenzieher seine Kerzen produzierte, Tiere aus einer Menagerie und natürlich Münzpressen. Kataloge solcher Tokens gibt es ausreichend, nun legt David W. Dykes mit seinem Buch Coinage and Currency in Eighteenth-Century Britain ein bibliophiles Opus vor, das den historischen Hintergrund ausleuchtet und die Hersteller der Stücke vorstellt.

Der Autor präsentiert ein Buch, das weit mehr ist als reine Numismatik. Hier wird die Gesellschaft des ausgehenden 18. Jahrhunderts lebendig. Schon die Firmengeschichten der wichtigsten Hersteller von Tokens – Thomas William, Matthew Boulton, John Westwood, Skidmore & Son mit all ihren Konkurrenten – geben einen Einblick in die Fähigkeiten, die ein erfolgreicher Unternehmer mitbringen musste, um in einem extrem kompetitiven Umfeld zu bestehen. Anhand zahlreicher Zitate aus Originalquellen erzählt Dykes ihre Geschichte in Verbindung mit Informationen zu den Token-Ausgaben, die sie produzierten. Richtig spannend wird es, wenn er einzelne Auftraggeber vorstellt und bildliche Quellen liefert, die als Vorbild für Tokens gedient haben. Wer beim Lesen ein wenig Phantasie entwickelt, wird hier seine wahre Freude haben. Auktionatoren und Münzhändler, Menagerien und Handschuhmacher, modernste Maschinen und Postkutschen, sie alle stehen für eine neue Zeit und ihre Menschen. Wie sie dachten, und welch wichtige Rolle schon damals politische Propaganda spielte, findet man ebenfalls in Dykes Buch. Anhand des Medium der Token spannt es einen bunten Bilderbogen, der eine Freude ist zu lesen.

Dafür muss man allerdings die englische Sprache ziemlich gut beherrschen. All die vielen Spezialwörter zur industrialisierten Welt des 18. Jahrhunderts stehen kaum auf dem normalen Lehrplan. Doch wer in der englischen Sprache zu hause ist, wird seine Freude haben an dem gut geschriebenen Text.

Ich möchte dieses schön bebilderte, sorgfältig hergestellte Buch aus dem Verlag des traditionsreichen Auktionshauses Spink jedem empfehlen, der sich für die Wirtschaftsgeschichte der frühen Neuzeit interessiert. Auch diejenigen, die Alltagsgeschichte mögen, werden ihr Vergnügen an dem Buch haben. Und dass sich die Spezialsammler von englischen Tokens das Opus kaufen müssen, steht sowieso fest.

Sie finden das Buch bei den Veröffentlichungen von Spink.