Der Veroneser Währungsraum

[bsa_pro_ad_space id=4]

von Ursula Kampmann

26. November 2015 – Die Schweizerische Nationalbank ist unglücklich: Theoretisch kursieren 60 % des Schweizer Geldwerts in 1000 Franken-Noten. Praktisch sind die Tausender nie zu sehen. Dieses Paradoxon lässt sich nur mit einem Blick auf die menschliche Psyche lösen. Denn dort, wo der homo oeconomicus wählen darf zwischen den verschiedenen Währungen, entscheidet er sich gerne für die wertbeständigste, wenn es ans Horten geht, für die am weitesten akzeptierte, wenn er etwas zahlen will.

Helmut Rizzolli, Federico Pigozzo, Der Veroneser Währungsraum. Verona und Tirol vom Beginn des 10. Jahrhunderts bis 1516 und Corpus Nummorum Veronensium (CNV), Corpus Nummorum Tirolensium Mediaevalium (CNTM), Runkelsteiner Schriften zur Kulturgeschichte Bd. 8. Bozen, Athesia, 2015. 729 S., durchgängig farbige Abbildungen. Hardcover. 17,1 x 24,5 cm. ISBN: 978-88-6839-139-3. 69,00.

Handbuch zur Geldgeschichte des Veroneser Währungsraums
Was diese schweizlastige Einleitung soll? Nun, ganz einfach: Die geschilderte Verhaltensweise ist nicht neu. Wofür sich die Bürger in Oberitalien und im Alpenraum entschieden, als sie im Mittelalter noch mitentscheiden durften, welches Geld sie für ihren Handel benutzten, das erzählt das umfassende Corpus zum Veroneser Währungsraum aus den Federn von Helmut Rizzolli und Federico Pigozzo. Und es ist eine Freude, dieses umfangreiche Handbuch aufzuschlagen. Es enthält nicht nur einen sinnvoll gestalteten Katalog zur mittelalterlichen Münzprägung Veronas und Tirols. Mehr als die Hälfte des Opus wird von einer leicht zu lesenden Währungsgeschichte des Veroneser Wirtschaftsraums eingenommen. Und die lässt wirklich keinen Wunsch offen. Verständlich geschrieben, hervorragend illustriert und darüber hinaus scharf analysierend, dieser Text zeigt, was das Endergebnis von Numismatik und archivalischer Forschung sein kann: die Rekonstruktion der Wirtschaftsgeschichte, die eben auch im Mittelalter nicht an den Stadtmauern endete, sondern geographische Räume verband.

Die älteste, einwandfrei datierbare Veroneser Münze: Ein unter Rudolf von Hochburgund (923-926) geprägter Denar, dessen Rückseitenaufschrift Verona als Prägeort nennt. Rizzolli-Pigozzo Abb. 2.

International anerkanntes Kleingeld
Beginnen wir also mit der Währungsgeschichte, der im Buch rund 360 Seiten gewidmet sind. Zunächst wird die Münzstätte Verona vorgestellt. In zwei gehaltvollen Kapiteln begleiten die Autoren die „Veroneser Münze“ von ihren Anfängen bis zur überregionalen Verbreitung der Veroneser Denare. Die erfüllten nämlich in der mittelalterlichen Wirtschaft eine äußerst wichtige Funktion. Mit ihrem im Vergleich geringen Gewicht waren sie ein sinnvolles Zahlungsmittel, wenn es um kleinere Summen ging. 

Oberitalienische Denare aus einem ungarischen Grab des 10. Jahrhunderts. Sie waren gelocht, um als Schmuck des Pferdezaumzeugs zu dienen. Rizzolli-Pigozzo Abb. 11.

Ende des 10. Jahrhunderts liefen diese Münzen nicht nur im Veroneser Währungsraum um, sondern fanden ihren Weg bis hinauf nach Polen und Schweden. Denn, wie ein spanischer Reisender über seinen Besuch des Prager Marktes im Jahre 966 berichtete, man konnte mit einem vollgewichtigen Denar zehn Hühner kaufen oder so viel Hafer, dass ein Reitpferd vierzig Tage lang daran zu fressen hatte. Wer aber nur ein Huhn braten und keine Hafervorräte mitschleppen wollte, griff zum Veroneser Denar, der eben leichter und deshalb im Alltag praktischer war.

Die Meinhardzwanziger wurden ab 1311 sogar in Verona nachgeprägt. Darauf weist die Leiter, das Wappen der Scaliger, über dem Schnabel des Adlers hin. Rizzolli-Pigozzo Abb. 48.

Die Veroneser Denare werden nachgeahmt
Zu Beginn des 12. Jahrhunderts begannen die Bischöfe von Trient diese Kleinmünze nachzuprägen. Andere folgten, und schnell stellte man fest, dass man auf dem Markt nicht nur Kleingeld in Form von nachgeahmten Veroneser Denaren brauchte, sondern auch ihr Vielfaches, um die größeren Summen zu begleichen. Am erfolgreichsten wurden die Meraner Adlergroschen, die ihrerseits überregional nachgeahmt wurden, sogar in Verona. Kapitel 3 und 4 sind diesem Phänomen gewidmet.

In Verona geprägter Testone mit dem Porträt Maximilians I. im Wert von 20 Kreuzern. Rizzolli-Pigozzo Abb. 128.

Von den Karolingern zu den Habsburgern
Wir können und wollen an dieser Stelle nicht nacherzählen, was es in Rizzollis und Pigozzos Buch so viel interessanter und ausführlicher zu lesen gibt. Ihre Schilderung reicht von dem Beginn der Veroneser Münzstätte nach 889 bis zur Aufgabe der Münzstätte Verona unter Maximilian I. in Kapitel 7. Sie bezieht Archivalien, literarische Quellen und bildliche Darstellungen (unschlagbar die Anbetung des Herrn Pfennigs!), Münzhorte, archäologische Befunde und – natürlich – die Münzdarstellungen mit ein. Aus dieser Vielfalt an Zeugnissen entsteht ein lebensvolles Bild, das wegen der Prise Humor, mit der die Autoren ihre Darstellung würzen, ein fortwährendes Lesevergnügen ist. Zu schön ist – um nur ein einziges Beispiel zu nennen – die Geschichte von der Ziege, die eines Morgens auf den Münzen aus dem Münzschatz von Prösels stand. Ihre Besitzer waren der festen Überzeugung, das „wundersame“ Tier habe die Münzen als die Ziegen-Version des Esel-streck-Dich selbst produziert.

Typen-Corpus der Prägungen aus Verona und Tirol
Als wäre die Münzgeschichte alleine nicht genug, liefern die Autoren noch zwei komplette Typen-Corpora. Das erste beschäftigt sich mit den Münzen von Verona aus der Zeit zwischen Rudolf II. von Burgund (923-926) und Maximilian I. (1509-1516). 56 Münztypen werden hier aufgelistet, mit Fotos illustriert. Wo das Foto allein es schwierig macht, einen Typ vom anderen zu unterscheiden, ist eine Zeichnung beigegeben oder in einem Foto die relevanten Buchstaben nachgezogen. Man sieht sofort, dass der Katalog von Praktikern gemacht wurde, die genau dort mit ihrer Bestimmhilfe einsetzen, wo Probleme entstehen können.
Das zweite Typen-Corpus ist nichts geringeres als ein Corpus Nummorum Tirolensium Mediaevalium, das auf den zwei grundlegenden Werken von Helmut Rizzolli beruht, die dieser 1991 und 2006 publiziert hat (und die natürlich schon längst vergriffen sind). Alle neu bekannt gewordenen Münztypen und –varianten hat Armin Torggler sorgfältig ergänzt. Enthalten sind in diesem Teil die Prägungen der Bischöfe von Trient, der Grafen von Tirol-Görz sowie der Habsburger aus der Münzstätte Meran sowie Beischläge zu Meraner Münzen. Münzen nach Veroneser Fuß aus Lienz und Toblach schließen das Corpus ab.

Ein umfassendes Literaturverzeichnis, ein Index der Münzfundorte und die Viten der Beteiligten beenden das Monumentalwerk. Programmatisch ist die Vita des 1991 verstorbenen Sammlers Ottorino Murari mit aufgenommen. Er, der große Kenner des Veroneser Münzwesens, vereinigte wissenschaftliches Interesse mit der Leidenschaft für das Sammeln und hat so einen großen Beitrag zur Erforschung der Veroneser Währungsgeschichte geleistet.

Es zeugt von der sammlerfreundlichen Haltung der beiden Autoren, Helmut Rizzolli und Federico Pigozzo, dass Sie Ottorino Murari ihr Werk widmen. Aber auch ohne dies bemerkt jeder Leser die Achtung, die beide Autoren dem Laien entgegenbringen. Ihr Buch kommt ohne Fachchinesisch aus. Unprätentiös rekonstruieren sie die Geldgeschichte des Veroneser Währungsraums, so dass es jeder verstehen kann.
Brauchen Sie noch eine Empfehlung? Ganz einfach: Nicht nur kaufen, sondern lesen!

Am einfachsten können Sie das Buch über Amazon bestellen.

Aber selbstverständlich bietet der Athesia Verlag auch an, das Buch direkt bei ihm zu erwerben.