Der Pegasos von Korinth


mit freundlicher Genehmigung von Dr. Hans Voegtli / ACAMA

KORINTH. Stater, 500-485 v. Chr. Pegasos mit geschwungenen Flügeln n. l. fliegend. Rv. Kleines, viergeteiltes Incusum. 8,46 g. Ravel I, 54, 80 (stgl.). BMC 2, 19 (stgl.).

Dieser wunderschöne, frühe Stater von Korinth zeigt Pegasos auf der
Vorderseite. Das geflügelte Pferd war das Symbol, mit dem sich alle
Bürger der Stadt Korinth identifizieren konnten. Doch warum war es das,
und wie kam es dazu?

Die meisten griechischen Münzen der archaischen
und klassischen Zeit bilden Götter und ihre Symbole ab, um zu zeigen,
daß eine Stadt in einer besonderen Verbindung mit einer bestimmten
Gottheit stand. Dies galt den Menschen in der Antike als Garantie für
Erfolg im Krieg, in der Politik und im Handel. Daneben beziehen sich
zahlreiche Münzen auf reale oder mythische „Beweise“ dafür, daß eine
Stadt in der Gunst ihrer Gottheit stand.

Die Münzen von Kyrene mit der Darstellung des Silphion zum Beispiel sind mit Sicherheit keine
antike Werbung für diese begehrte Handelsware, sondern der Hinweis, daß
Zeus Ammon Kyrene vor allen anderen griechischen Städten auszeichnete,
weil er nur dort das Silphion wachsen ließ. Die Verbindung von Victoria
und einem Viergespann, die wir von vielen Tetradrachmen Siziliens
kennen, weist auf die Siege hin, die die prägenden Städte in Olympia
errungen hatten und die der göttlichen Gunst zugeschrieben wurden.
Arethusa wurde auf den Rückseiten der syrakusanischen Tetradrachmen
abgebildet, weil die Bewohner der Stadt es als ein besonderes
Zeichen himmlischen Wohlwollens empfanden, daß auf einer Insel, umgeben
von Salzwasser, eine Süßwasserquelle entsprang, ohne die ein Siedeln
auf der Ortygia praktisch unmöglich gewesen wäre.

Auch der Pegasos
ist ein Beweis göttlicher Gnade, die den Bewohnern von Korinth zuteil
wurde. Seine Zähmung verbindet sich mit den beiden wichtigsten
Gottheiten von Korinth, mit Athena Chalinitis und Poseidon Danaios.

Wir
kennen Poseidon heute in erster Linie als Gott des Meeres. Für die
Griechen aber war das nur ein Aspekt seiner Macht. Er repräsentierte
für sie die unbezähmbare Gewalt der Natur, spürbar in den Wogen des
Meeres, dem Erdbeben, aber auch in einem ungezähmten Pferd, das sich
voll von überschäumender Kraft aufbäumt. So gehörte der Pegasos zu den
Geschöpfen, über die Poseidon gebieten konnte.

 

Bellerophon kämpft auf dem Pegasos gegen die Chimaira. Gefäß des Heidelbergmalers, ca. 575-550. Gefunden in Kameiros (Rhodos), heute im Louvre.

 

Bellerophon, der Heros der Korinther, galt als Sohn des Poseidon. Er sah eines Tages den Pegasos und begehrte ihn. Damals war – so überliefert es uns Plinius der Ältere – die Reitkunst noch nicht erfunden. So konnte Bellerophon nur dem prächtigen Pferd nachsehen und sich wünschen, es zu besitzen. Eines Nachts erschien ihm Athena im Traum. Sie schenkte ihm ein goldenes Zaumzeug, um damit den Pegasos zu zähmen. Allerdings schrieb sie ihm vor, daß er seinem Vater, dem Poseidon, zum Dank für das Roß opfern müsse. Auch ihr selbst solle er ein Heiligtum weihen. So erfuhr Bellerophon, stellvertretend für alle Korinther, von zwei Seiten göttliche Gnade: Poseidon schuf für ihn ein Geschöpf, das er mit Hilfe von Athena reiten konnte.

Diese Geschichte war für die Korinther ihr wichtigster Mythos. Er erzählte, wie sie zu ihren beiden wichtigsten Kulten gekommen waren. Gleichzeitig belehrte diese Geschichte die Gläubigen, wie die Erlebnisse beschaffen sein würden, in denen sie den Gottheiten Athena und Poseidon begegneten. Während Poseidon in den Naturgewalten verborgen war, man ihm also opfern mußte, ehe man ein Schiff bestieg, war Athena zuständig für jeden guten Gedanken, der die Zivilisation weiter vorantreiben würde. Sie schenkt Bellerophon den Zaum, mit dem das Reiten erst möglich wird. Tiere zu fangen und zu essen ist eine Sache, sie zur Fortbewegung zu nutzen, eine andere.

Menschen, denen es gelang, Fortschritte dieser Art zu machen, die waren von Athena beschützt und eine Handelsstadt wie Korinth war auf eine Gottheit angewiesen, die den Handwerkern immer gute Ideen für neue Techniken schenkte, um der Konkurrenz stets eine Nasenlänge voraus zu sein. Genauso waren die Bürger der Stadt aber auch auf Poseidon angewiesen, der den Schiffen eine gute Überfahrt gewährte, und der Akrokorinth so reichlich mit Wasser beschenkt hatte. Pegasos war für jeden Korinther der Beweis, daß er sich solange auf Poseidon und Athena verlassen konnten, solange alle Bürger den Kult, den ihr mythischer Mitbürger Bellerophon eingeführt hatte, ausübten und den Gottheiten die ihnen zustehende Ehre erwiesen.

  • G. Bethe, s. v. Bellerophon, RE 5 (1897), 241ff.
  • L. Bruit Zaidman, P. Schmitt Pantel, Die Religion der Griechen, München 1994.
  • U. Kampmann, Gottheit und Polis, Stuttgart 1999.
  • W. Rathmann, s. v. Pegasos, RE 37 (1937), 56ff.
  • O. E. Ravel, Les „poulains“ de Corinthe, Basel 1936.
  • J.-P. Vernant, L’univers, les Dieux, les Hommes, Paris 1999.