Willkommen im Iran! Teil 7: Im Land der Meder

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von Ursula Kampmann

25. August 2016 – Wissen Sie, wer die Meder waren? Ich gebe zu, mein Wissen über dieses Volk geht nicht wirklich darüber hinaus, was ich einst bei Herodot gelesen habe. Und das war nicht so wahnsinnig ergiebig. Trotzdem stellt Herodot den umfangreichsten Teil der Überlieferung zu den Medern dar.
Demnach scheinen die Meder nicht über ein Reich verfügt zu haben, wie wir es von den Persern kennen. Stattdessen gab es eine Konföderation von verschiedenen Stammesverbänden, die sich als militärische Einheit verstanden, auch wenn die Loyalitäten gelegentlich wechseln konnten.
Die Meder waren berühmt für ihre Pferdezucht und ihre Reitkunst. Herodot behauptet, das hätten sie den Skythen zu danken, die seines Wissens nach 28 Jahre lang über Medien herrschten.
Herodot schildert besonders ausführlich die Herrschaft des Astyages, der gegen den Lyderkönig Kroisos Krieg führte. Und in diesem Zusammenhang steht die von Thales von Milet vorhergesagte Sonnenfinsternis des Jahres 585 v. Chr. Sie erschreckte beide Parteien derart, dass sie lieber Frieden schlossen.
Höhepunkt von Herodots Geschichte der Meder ist die märchenhafte Geburt und Kindheit von Kyros, der später den medischen König Astyages, laut Herodot sein Großvater mütterlicherseits, stürzen sollte. Fortan herrschten die Perser über die Meder, wobei diese eine wichtige Rolle im persischen Reich übernahmen.
Wie die Meder sich selbst sahen, wissen wir nicht. Sie haben uns keinerlei schriftliche Quellen hinterlassen. So verraten uns lediglich einige archäologische Stätten etwas über die Meder. Und ein paar davon werden wir in dieser Folge besuchen.

Samstag, 12. März 2016
Bei herrlichstem Wetter erreichten wir in aller Herrgottsfrühe Bisotun. Wie freute ich mich darauf! Heute würden wir das berühmte Felsrelief sehen! Jeder, der sich mit antiker Geschichte beschäftigt, hat doch dieses Bild im Kopf: Dareios I. steht mit seinen Dienern vor den gefesselten Lügenkönigen. „Ich bin Darios“, so fängt die dreisprachige Inschrift an, die schon so manchem Autor als Inspiration für einen Buchtitel gedient hat. Ich hegte also größte Erwartungen, als ich im Eiltempo aus dem Bus sprang, um das gewaltige Relief zu sehen.

Ein Blick auf die gigantische Felswand. Und ja, wenn man weiß, wo es ist, kann man das Relief schon erahnen. Foto: KW.

Wir waren die einzigen Touristen vor Ort. Geplant war die Anlage sichtlich für einen größeren Ansturm. Es gab sogar einen (geschlossenen) Souvenirshop.

Mitten zwischen den Felsreliefs führt ein Hirte seine Schafe von Weide zu Weide. Foto: KW.

Uns störte das nicht. Wir waren statt von Touristen von Schafen umgeben, die ein Hirt auf seiner Wanderung zwischen den hohen Felsmauern durchtrieb. Im Höllentempo kamen die Viecher über den Bergkamm, sprangen über Stock und Stein, drängten sich zwischen und neben uns durch und waren wieder verschwunden, ehe der letzte seine Kamera gezückt hatte.

Die Herakles-Version von Bisotun, ein wohlgenährtes Kerlchen. Foto: KW.

Erste archäologische Attraktion auf dem Weg war eine in den Fels gehauene Darstellung des lagernden Herakles aus dem Jahr 148 v. Chr. Sagen wir es einmal so: Sie ist nicht wirklich ein Höhepunkt der hellenistischen Bildhauerkunst. Jeder machte sein Witzchen über den zu kurz geratenen Herakles, der mal eine Abmagerungskur machen sollte. Der Ärmste! Er hat schon einiges mitgemacht. Er trägt bereits den dritten Kopf, weil der immer wieder geklaut wird.

Dort, wo der Pfeil endet, beginnt das Relief. Foto: KW.

An Herakles vorbei, führte der Weg zum Relief. Und als wir davor standen, hätten wir es beinahe nicht gesehen. Glücklicherweise hatten ein paar Mitreisende ein starkes Fernglas dabei. Das gewaltige Felsrelief von Bisotun ist etwa 5.50 Meter breit und ca. 3 Meter hoch, eine eindrucksvolle Größe für ein Relief, das in Augenhöhe angebracht ist. Tatsächlich ist es aber so hoch am Berg eingemeißelt, dass selbst die Menschen in achämenidischer Zeit die Inschriften nicht lesen konnten. Man geht deshalb davon aus, dass die Inschrift von königlichen Herolden in allen persischen Dörfern verlesen wurde, so dass diejenigen, die das Felsrelief Bisotun von der vorbeiführenden Straße aus sahen, genau wussten, was es darstellte und wie die Inschriften lauteten.

Durch ein ganz starkes Tele-Objektiv sieht das Relief so aus. Foto: KW.

Das Relief mit seinen Inschriften ist für die Historiker so interessant, weil sich prächtig darüber streiten lässt, wer denn nun eigentlich jener Lügenkönig Gautama war, dessen Niederlage Dareios I. derart feierte.
Dareios I. hatte nämlich eigentlich keinen Anspruch auf den persischen Thron. Er war lediglich der älteste Sohn des Satrapen von Baktrien und diente dem Kambyses II. als Bogenschütze in seiner Garde.
Wie es Dareios auf den Thron schaffte, davon gibt es verschiedene Varianten, je nachdem wer die Geschichte erzählt. Die offizielle Version von Bisotun verkündet, dass Kambyses seinen Bruder Bardiya umbringen ließ. Daraufhin habe sich ein Usurpator erhoben, der behauptete, er sei Bardiya. Dieser Bardiya stürzte Kambyses und machte sich selbst zum Herrscher über Persien. Dareios nun rächte den Herrscher und erhielt als Lohn dafür die Herrschaft.
Zu schön um wahr zu sein? Nun, einige moderne Historiker vermuten, Gautama sei tatsächlich Bardiya gewesen. Dareios habe also den legitimen Erben von Kambyses gestürzt und sich an seine Stelle gesetzt. Mit der Inschrift von Bisotun habe er versucht, die Geschichte ein bisschen zu beschönigen.

Dareike, ca. 505-480. Aus Auktion Gorny & Mosch 232 (2015), 297. – Diese berühmte Goldmünze der Antike, die bis zur Epoche Alexanders geprägt wurde, hat ihren Namen von Dareios I.

Wie auch immer, wir standen andächtig vor dem Relief, reichten die wenigen Ferngläser von Hand zu Hand, genossen die Sonne und hätten eigentlich ewig da bleiben mögen, hätte Frau Hodel uns nicht – wie der Hirt seine Schafe – schon wieder in den Bus getrieben, um zur nächsten Attraktion zu eilen.

Ein Blick auf den Anahita-Tempel von Kangavar. Foto: KW.

Weiter ging es nach Kangavar, wo ein Tempel der Anahita zu sehen ist. Wenn es denn überhaupt ein Tempel der Anahita ist. Für den bräuchte es nämlich zwingend ein Wasserbecken, und das haben die Archäologen bis jetzt noch nicht aufgetrieben.

Säulenreihe im so genannten Anahita-Tempel von Kangavar. Foto: KW.

Es könnte sich also durchaus um eine weltliche Anlage handeln, deren Datierung nebenbei auch nicht so ganz klar ist.
Von der Bedeutung der Anlage ist man im Iran allerdings überzeugt. Man versucht, Kangavar in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufnehmen zu lassen. Was für mich vor Ort nicht so ganz nachvollziehbar war, vor allem wenn ich an die anderen Weltkulturerbe-Stätten, die wir im Iran gesehen hatten, dachte.

Avicenna. Moderne Statue am Mausoleum des berühmten Arztes. Foto: KW.

Wir fuhren weiter nach Ekbatana, und ich gebe zu, ich wunderte mich schon ein bisschen, dass in dieser bedeutenden Stadt lediglich das Mausoleum des Avicenna auf dem Programm stand.

Stater, 311-295, Ekbatana. Nach dem Vorbild der Statere Alexanders. Aus Auktion Gorny & Mosch 215 (2013), 782.

Immerhin gehörte Ekbatana zu den wichtigsten Städten der Antike. Herodot beschrieb die Hauptstadt der Meder und erwähnte, dass sie mit sieben konzentrischen Stadtmauern in sieben verschiedenen Farben geschmückt sei. Damals sei Ekbatana so groß gewesen wie Athen.
Alexander eroberte auf seinem Feldzug die Stadt Ekbatana kampflos. Dort beendete er seinen Rachefeldzug gegen die Perser offiziell. Er entließ die griechischen Truppen in die Heimat, sofern sie nicht als Söldner weiterhin unter ihm dienen wollten.
Ekbatana war auch der Schauplatz des Mordes an Parmenion. Der gehörte eigentlich zu den verdientesten Soldaten Makedoniens, hatte aber das Pech, dass sein Sohn Philotas sich bei Alexander unbeliebt gemacht hatte. Philotas wurde entsorgt und Parmenion teilte sein Schicksal, wahrscheinlich aus keinem anderen Grund als dass die makedonischen Vorstellungen dieser einflussreichen Kommandanten nicht mehr mit den weltgreifenden Plänen Alexanders harmonierten.

Seleukos I. Nikator. Tetradrachme, nach 295, geprägt in Ekbatana. Aus Auktion Gorny & Mosch 176 (2009), 1394.

Auch nach dem Tod Alexanders blieb Ekbatana ein bedeutendes Zentrum. Die Seleukiden benutzten den achämenidischen Palast noch bis ins 3. Jahrhundert v. Chr.

Parther. Mithradates II., 123-88, Ekbatana. Aus Auktion Gorny & Mosch 229 (2015), 1449.

Die Münzstätte blieb noch länger in Betrieb und prägte auch unter parthischer Herrschaft. Damals hatten die parthischen Herrscher einen Sommerpalast in Ekbatana.
Erst unter den Sasaniden ging die Bedeutung der Stadt zurück. Und als sie von den Arabern im Jahre 642 erobert wurde, nannte man sie schon nicht mehr Ekbatana, sondern Hamadan. Diesen Namen trägt sie heute noch.

Das Mausoleum von Avicenna. Foto: KW.

Ruinen? Reste der ehemaligen Palastanlage? Vergessen Sie’s. Davon ist nichts übrig geblieben. Stattdessen wird dem Besucher ein Mausoleum des persischen Arztes Avicenna geboten, der seit der Publikation von „Der Medicus“ auch im Westen zur historischen Allgemeinbildung gehört. Wobei Noah Gordon die Fakten reichlich stiefmütterlich behandelt…
Für die Iraner ist Avicenna ein nationaler Held; und ich muss sagen, er ist mir als Nationalheld wesentlich lieber als viele andere Nationalhelden, die ich in anderen Ländern angetroffen habe. Der Schah errichtete 1952 das Mausoleum, das heute noch gepflegt wird. Viele medizinische Einrichtungen sind in der ganzen arabischen Welt nach ihm benannt. Als der Iran im Juni 2009 den United Nations ein Monument schenkte, war unter den darauf abgebildeten vier Wissenschaftlern natürlich auch Avicenna.

Das letzte Restchen Antike, das wir in Ekbatana zu sehen kriegten. Foto: KW.

Ich gebe zu, so viele Sympathien ich für Avicenna hegen mag, hatte ich mir doch etwas anderes unter Ekbatana vorgestellt. Immerhin verfügt die Stadt über einen Stern im Reiseführer…
Das einzige Stückchen Antike, das wir dann doch während unseres mittäglichen Picknicks zu sehen bekamen, bestand aus einem völlig abgenudelten Löwen, den man wegen einiger stilistischer Ähnlichkeiten in hellenistische Zeit datieren will.
Die Iranerinnen sollen – so die einschlägige Reiseliteratur – die Löwenskulptur heute noch besuchen, wenn sie sich einen Ehemann wünschen. Für ein paar brennende Kerzen und kleine Steine müht der Löwe sich redlich, einen zu besorgen.

Der Grabturm von Esther und Mordekhai. Foto: KW.

Fast hätte ich die kunstgeschichtlich bedeutendste Attraktion von Hamadan vergessen, das Mausoleum von Esther und Mordekhai. Was vielleicht daran liegen könnte, dass ich dabei bin, eine Allergie gegen muslimische Grabtürme zu entwickeln. Dabei ist dieses Exemplar gar nicht muslimisch, sondern jüdisch. Wer hier liegt? Keine Ahnung. Die lokale Überlieferung will das Grabmal Esther und ihrem Onkel Mordekhai zuschreiben, deren Geschichte im alttestamentarischen Buch Esther niedergeschrieben ist. Esther soll Gattin von Xerxes I. gewesen sein und viel Gutes für ihr Volk bewirkt haben. Andere eignen das Grab einer jüdischen Gattin des sasanidischen Herrschers Yazdegard I. zu.
Kunsthistorisch gesehen ist beides eher zweifelhaft. Der Bau dürfte nämlich erst aus dem 13. Jh. n. Chr.(!) datieren. Nun wurde das Buch Esther um 400 v. Chr. verfasst, und Yazdegard kam 420 ums Leben. Selbst wenn seine jüdische Gattin noch viele Jahre als glückliche Witwe lebte, dürfte sie wohl schon einige Jahrhunderte tot gewesen sein, ehe man sich an den Bau des Grabmals machte…

Ausgrabung von Nushidjan. Foto: KW.

Ziemlich enttäuscht von Ekbatana fuhren wir weiter. Im Bus verbreitete sich das Gerücht, dass die Straße nach Nushidjan gesperrt sei, und wir auf die Besichtigung der dortigen Grabung verzichten müssen. Ich gebe zu, ich war ganz still, weil ich eigentlich gar nichts dagegen gehabt hätte, ausnahmsweise ein bisschen früher im Hotel zu sein. Konnte ich natürlich nicht öffentlich zugeben. Aber Pustekuchen! Die Abzweigung war offen, und so fuhren wir nach Nushidjan. Wie froh war ich im Nachhinein, dass wir das getan hatten! Was wir dort zu sehen bekamen, war beeindruckend.

Blick in den Innenhof der Zitadelle. Foto: KW.

In Nushidjan sind die Mauern einer medischen Zitadelle aus dem 8. bis 6. Jh. v. Chr. nämlich mehrere Meter hoch erhalten. Man kann durch die Gänge der Festung gehen und hat einen hervorragenden räumlichen Eindruck des Baus. Um die eigentlichen Lehmziegel zu schützen, haben die Archäologen alle Wände mit einem Bewurf aus Lehm überzogen, der einen guten Eindruck vom ehemaligen Aussehen gibt.

Blick in ein Feuerheiligtum. Foto: KW.

Im Zentrum der Anlage befindet sich ein sehr gut erhaltenes Feuerheiligtum, das älteste, das im Iran nachweisbar ist.

Und damit endete unser Tag. Wir übernachteten im Hotel Zagros, einem iranischen Luxushotel mit einem großen Teich davor, auf dem als Schwäne gestaltete Tretboote zu mieten waren. Wir verzichteten auf dieses Vergnügen und zogen uns aufs Zimmer zurück, um Kräfte zu sammeln für den morgigen Tag!

In der nächsten Folge entdecken wir einen Schatz in der Festung Khorramabad und stehen am Straßenrand, als eine Prozession von schiitischen Gläubigen den Todestag der Fatima Masumeh begeht.

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